Eine Pfingstgeschichte von Paul Bliß.
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 29.05.1898
Es war wenige Tage vor Pfingsten; ein wundervoller Junitag ging zur Neige, allmählich färbte sich der Horizont vom hellen Rosa bis zum tief dunkeln Violett, und langsam sank die wohlthuende Dämmerung hernieder.
Da gingen sie beide Hand in Hand zwischen den grünen Kornfeldern hin und sagten sich, was sie sich schon so oft gesagt hatten, daß sie einander liebten und daß keine Macht der Welt sie trennen könne.
Nichts um sie her regte sich, die ganze heilige Stille eines Sommerabends, den man auf freiem Felde erlebt, kam über sie und gab ihren Seelen die weihevolle Stimmung reiner Naturen; ganz von fern her ertönten die allmählich verhallenden Klänge eines Glöckleins, das den Feierabend einläutete, und auf leiden Schwingen wehte der junge Lenzhauch ihnen Düfte entgegen vom blühenden Flieder und Jasmin.
Und leise legte er seinen Arm um ihre Taille und zog ihren schlanken Leib sanft an sich und küßte ihr langes Blondhaar uns flüsterte ihr süße Liebes- und Koseworte ins Ohr.
Aber je näher sie dem Städtchen kamen, desto trauriger wurden ihre Blicke, desto versteckter und scheuer ihre Liebkosungen, weil sie fürchten mußten, gesehen zu werden.
Endlich bat sie ganz leise: „Laß uns jetzt still neben einander gehen, Fritz, Du weißt ja, wieviel ärgerliche Szenen ich wieder bekomme, wenn uns hier Jemand begegnete und es meinem Vater wieder erzählte.”
Seufzend gab er sie frei. „Ach, Lotte, ich wünschte nur, wir brauchten unsere Liebe nicht mehr zu verheimlichen.”
Als sie aus dem Feldweg heraus auf die Chaussee kamen, gingen sie wie harmlos plaudernd neben einander her, und ungefähr hundert Schritt vor den ersten Häusern sagten sie sich scheinbar ganz förmlich Adieu und Jeder von Ihnen nahm einen anderen Weg in die Stadt.
Kaum war Lotte zu Hause, da kam ihr auch schon angstvoll die Mutter entgegen: „Wo warst Du denn, Kind?”
„Aber, Mutterchen, Du weißt doch, ich war nach der Meierei gegangen.”
„Aber Du warst nicht allein. Man hat Euch gesehen.”
Lotte wurde roth. Dann aber sagte sie muthig: „Fritz Bergemann hat mich begleitet, ja wohl!”
„Die alte Schmidt hat Euch gesehen und es sofort dem Vater erzählt,” klagte die Mutter.
Lotte entgegnete tapfer: „Nun ja, was thut das! Einmal muß es der Vater ja doch erfahren, daß wir uns lieben und uns heirathen wollen.”
„Aber, Kind, Du weißt doch, daß Vater andere Pläne mit Dir hat.”
„Hab keine Angst, Mutting, ich will mit Vater schon fertig werden,” entgegnete heiter die Tochter.
Gleich darauf trat Papa Wittstock ein. Er war ruhig und ernst, aber aus seinen großen Augen blickte Unheil, und nach einigen Minuten schon brach das Ungewitter los.
„Lotte, ich sag' es Dir heute zum letzten Male, die Geschichte mit dem Bergemann hat nun ein Ende. Meine Tochter kann eine andere Partie machen als so einen verhungerten Schullehrer.”
Lotte erwiderte ruhig und bestimmt: „Vater, ich weiß, Du willst mich an den reichen Bodeck verheirathen, — aber ich nehme ihn nie, niemals, hörst Du!” Muthig hochaufgerichtet stand sie vor dem Alten, es waren seine blitzenden Augen, die ihm jetzt mit dem gleichen Stolz entgegen leuchteten, mit denen er ihr eben erst hatte einen Schreck einjagen wollen; sie war sein Kind, das sah man an ihren Blicken.
Der Vater wollte auffahren, aber die Mutter trat begütigend dazwischen. Und im nächsten Augenblicke war die Tochter draußen. Ein paar Minuten lang wüthete der verärgerte Vater noch umher, schalt auf die Unduldsamkeit der heutigen Jugend, schimpfte auf die Schullehrer im Allgemeinen, auf Fritz Bergemann im Besonderen und suchte nach allen möglichen Gelegenheiten, seinen Groll auszutoben. Als aber die Frau, die ihn genau kannte, ihm mit keiner Silbe widersprach, wurde er bald still und griff nach Hut und Stock, seine Stammkneipe aufzusuchen.
Inzwischen hatte Lotte ihren Fritz von Allem durch ein paar Zeilen in Kenntniß gesetzt, ihm Muth zugesprochen und ihn vor jeder Unvorsichtigkeit gewarnt.
Als Fritz diese Zeilen bekam, war er zwar ein wenig niedergeschlagen, aber er vertraute auf die Kraft seiner jugendstarken Liebe und auf irgend einen Zufall, der ihn zum Siege führen sollte.
* * *
Das Pfingstfest war da.
Ein Sommertag so herrlich, wie er nie zuvor gewesen war. Wolkenlos blauer Himmel, lachender Sonnenschein und ein überströmende Fülle von Blüthendift und Farbenpracht.
In hellen Schaaren zogen die Menschen hinaus ins Freie und lauter Festjubel ertönte, wohin man sich wenden mochte.
Wie in fast allen kleinen Städten, so feierte man auch in Waldenburg zu Pfingsten Königsschießen. Die Bürger des Stadtchens, in kleidsamen Uniformen, durchzogen unter Sang und Klang die Straßen und pilgerten dann hinaus nach dem Schützenhaus, wo an zwei Schießständen um die Königswürde gekämpft wurde.
Papa Wittstock war im ganzen Ort bekannt als der beste Schütze, seit einer Reihe von Jahren schon war er immer der Gekrönte gewesen und deshalb hoffte Jeder, daß es auch in diesem Jahre ebenso kommen werde.
Desto erstaunter aber war ein Jeder, als in diesem Jahre der ehemalige König einen argen Konkurrenten bekam — den Schullehrer Fritz Bergemann.
Der junge Mann war ein ausgezeichneter Schütze, und am zweiten Tage des Schießens sah es fast Jeder schon, daß die Chancen des alten Herrn nicht besonders gut standen.
Der alte Wittstock war ein zu gerader, ehrlicher Mann, um seinen Aerger darüber nicht ganz offen auszusprechen; schon bei der ersten Gelegenheit stellte er den jungen Mann und sagte mit offenkundigem Spott: „Ich glaubte bisher, daß die Schullehrer nur mit Lineal und Rohrstock umgehen können, zu meiner Freude sehe ich, daß es auch Ausnahmen giebt.”
Dem jungen Lehrer kam der Aerger hoch, aber er nahm sich zusammen und sagte mit festem Ton: „Es ist ein Fehler der meisten alten Leute, daß sie mit dem zunehmenden Alter iummer eigensinniger werden und so sich mit Gewalt gegen die heranwachsende Jugend, gegen deren Können und Wollen verschließen!”
Der Hieb saß.
Papa Wittstock stand sprachlos vor dem kühnen Sprecher. Das hatte er ihm denn doch nicht zugetraut. Aber er war in seiner Eitelkeit zu verletzt, deshalb zuckte er hohnlächelnd die Schultern und ging von dannen, um sich keine Blöße zu geben.
Und nun erst kam dem jungen Lehrer voll zum Bewußtsein, was er gethan hatte; jetzt glaubte er, Alles ein für alle Mal verscherzt zu haben.
Schon eine Stunde später traf er Lotte auf ein paar heimliche Minuten.
„Es ist Alles aus, Fritz,” klagte sie; „der Vater ist wüthend auf Dich!”
Er nickte nur betrübt, er ahnte ja Alles schon.
„Es giebt nur eins, Fritz, was uns noch retten kann.”
Fragend sah er sie an.
„Du darfst dem Vater nicht die Königswürde rauben.”
Fritz starrte sie an. Das war allerdings ein Ausweg, der Hoffnung verhieß.
„Aus Liebe zu mir,” bat sie weiter, „thue es doch, Fritz. Was liegt Dir denn an solcher eitlen Spielerei!”
„Aus Liebe zu Dir!” sagte er, nickte und versprach, Alles zu thun. Dann ging er zurück ach den Schießständen.
Und von dem Augenblicke an wurde der junge Lehrer unsicherer und schoß schlechter von Mal zu Mal, so daß es Jedem auffallen mußte und die Chancen des Herrn Wittstock wieder rapid stiegen.
Aber die jungen Liebesleute hatten sich arg getäuscht!
Nach einigen Stunden trat der Alte dem Jungen wieder in den Weg. Diesmal aber waren Beide allein. Und mit zornfunkelndem Blick begann der erregte alte Herr: „Was fällt Ihnen denn eigentlich ein! Wie können Sie junger Kerl sich denn erlauben, mit mir ein derart frivoles Spiel zu treiben!”
Sprachlos sah Fritz den Alten an.
„Meinen Sie denn, ich durchschaute Sie und Ihr Spiel nicht? Oder wollen Sie mir etwa einreden, daß Sie plötzlich das Schießen verlernt hätte!?”
Noch immer schwieg Fritz, aber seine Blicke ließen ihn nicht mehr los.
„Und wenn Sie glauben. meine Tochter dadurch zu erringen, daß Sie mir die Königswürde als ein Geschenk Ihrer Gnade lassen, dann kennen Sie den alten Wittstock doch ganz verdammt schlecht!”
Nun fand auch Fritz die Sprache wieder: „Sie haben Recht, Herr Wittstock! Ich hatte es der Lotte versprochen! Aus Liebe zu ihr wollte ich hinter Ihnen zurückstehen. Nun thue ich es nicht mehr! nein! nun erst recht will ich die Königswürde mir erringen, um Ihnen zu beweisen, daß ich jeden ungeraden Weg hasse, und daß ich frei und offen mein Ziel erreichen werde, und wenn ein ganzes Dutzend so bärbeißiger Väter zu besiegen wären!”
Fort war er.
Und starr sah ihm der Alte nach. Er hatte jetzt Respekt bekommen vor dem Burschen! Donnerwetter das war ja ein ganzer Kerl! — wie man sich nur so täuschen konnte! Mit einem heimlichen Lächeln ging der alte Herr zurück nach den Schießständen.
Und von Stund' an wechselte wiederum das Bild. Der junge Lehrer schoß beser denn je und die Chancen des alten Herrn sanken tiefer und tiefer.
Am dritten Pfingsttag war Fritz Bergemann Schützenkönig von Waldenburg.
Als er seinen Einzug in das Städtchen hielt, jubelte ihm Alles zu. Und an seiner Rechten ging der ehemalige König. Er ging stumm neben ihm her, aber sein Zorn war verraucht und in seinen Blicken schimmerte eine heimliche Freude. Manchmal sah er von der Seite auf den strammen jungen Mann, der so fest und militärisch geschult da neben ihm schritt, und dann dachte er immer wieder: er ist doch ein ganz patenter Kerl!
Abends war Ball.
Die ganze Stadt war versammelt und es war ein sommerlich lustiges Gewoge in Sälen und Gärten.
Und da es Sitte war, daß für dies Fest der König sich eine Königin wählen mußte, die des Abends Ehren mit ihm zu theilen hatte, so ging Fritz kurz entschlossen hin und lud seine Lotte dazu ein.
Während des ganzen Abends blieben sie nun fast unausgesetzt bei einander.
Dagegen konnte selbst der strenge Herr Vater nichts einwenden, denn es war so Brauch bei diesem Fest.
Als es dann aber Morgen wurde und man an's Abschiednehmen denken mußte, da sagte der ehemalige König zu dem neuen Herrn, indem er kräftig seine Hand schüttelte: „Und nun machen Sie uns recht bald das Vergnügen, uns zu besuchen!”
Das ließ Fritz sich denn auch nicht zweimal sagen, sondern er ging von nun an fast täglich zu Herrn Wittstock, bis man einander so gut bekannt geworden war, daß Fritz um die Lotte anhalten konnte und keinen Korb bekam.
Seit der Zeit feiert das Ehepaar Bergemann das Pfingstfest mit ganz besonders frohen Erinnerungen.
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